Zankapfel ARM: Verkauf könnte Akzeptanz von RISC-V erhöhen
Wenn zwei verhandeln, freut sich die Dritte: Die offene Befehlssatz-Architektur RISC-V könnte von einer Übernahme des Prozessor-IP-Spezialisten ARM zum Beispiel durch Nvidia profitieren.
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Nvidia erwägt offenbar den Kauf von ARM. Nach von offizieller Seite unbestätigten Insider-Berichten etwa auf EETimes, Bloomberg, Financial Times oder Reuters laufen bereits länger konkrete Gespräche zwischen Softbank, dem jetzigen Besitzer des Prozessor-IP-Entwicklers, und Grafik- und KI-Chipanbieter Nvidia. So habe etwa Nvidia zuletzt 32 Mrd. US-$ in Cash und Aktien für ARM geboten. Zuvor hatte es ähnliche Gerüchte über eine mögliche Übernahme von ARM durch den iPhone-Hersteller Apple gegeben.
Egal wer von den Tech-Schwergewichten letztlich den Zuschlag für ARM bekommt – es würde ein Beben durch die gesamte Elektronikbranche gehen. Denn die Prozessor-IP des Unternehmens ist heute praktisch omnipräsent und steckt in einem Großteil der elektronischen Produkte, von mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets über Embedded-Geräte für Autos und Automatisierung bis zum Supercomputer Fugaku von Fujitsu und Riken
Branchenweite Abhängigkeit von ARM-IP
Viele Chiphersteller, darunter der überwiegende Teil der Mikrocontroller-Produzenten, sind als Lizenznehmer von ARM-IP abhängig. Zu den ARM-Lizenznehmern zählen etwa Apple, AMD, Qualcomm, Broadcom, Samsung, Texas Instruments, NXP, STMicroelectronics, Infineon, MediaTek und auch Huawei – um nur einige wenige zu nennen.
Die Firmen können nicht von heute auf morgen ihre Designs umstellen. Zumal direkte, gleichwertige Alternativen fehlen. Sie könnten daher zunächst nur zuschauen, wie ein künftiger ARM-Eigner die Lizensierungsmodelle weiterführt. Darüber hinaus wären sie sicher besorgt, „dass Nvidia nicht investieren würde und sie deswegen Nachteile für ihr zukünftiges Geschäft erleiden könnten“, warnt etwa Kevin Krewell, Principal Analyst von Marktforscher Tirias Research in der EE Times. Schließlich würde Nvidia ja mit diesen Firmen konkurrieren.
Möglicher Verkauf treibt Anwender in Richtung RISC-V
Was also tun, wenn im wahren Sinne des Wortes der Kern der eigenen Produkte sich plötzlich in den Händen eines Wettbewerbers befindet? Eine Möglichkeit wäre, sich schnell nach möglichen Alternativen umzuschauen.
Sollte es zu einem Verkauf von ARM beispielsweise an Nvidia kommen, könnte dies dem Open-Source-Gedanken einer offenen, nach eigenem Gusto anpassbaren Prozessorarchitektur massiv Vorschub leisten. Eine solche Instruction Set Architecture (ISA) gibt es bereits: RISC-V. So gibt Krewell gegenüber der EE Times an: „Der Merger wäre eine Katastrophe. Mehr ARM-Kunden würden in Richtung RISC-V schauen.“
RISC-V ist längst mehr als ein Spielzeug für Nerds
Tatsächlich wächst die Fangemeinde der Alternativ-ISA stetig. Und zwar längst nicht mehr nur im Bildungssegment, sondern auch im kommerziellen Lager. Beispielsweise basieren etliche Controller des Speicheranbieters Western Digital bereits auf RISC-V, und Samsung setzt RISC-V-Kerne von SiFive in den Funk-Frontends seiner 5G-mmWave-Module ein, die in den neuen 5G-Top-Smartphones des Unternehmens zum Einsatz kommen. Bezeichnenderweise ist auch Nvidia aktiver Unterstützer der offenen ISA.
An der Spitze der mittlerweile in der Schweiz ansässigen RISC-V Foundation steht als CEO die ehemalige IBM-Vizepräsidentin Calista Redmond. Unermüdlich versucht sie, weitere Unterstützer und Nutzer für die offene Befehlssatzarchitektur zu finden. Mittlerweile hat RISC-V International über 500 Mitglieder. Ein wichtiger Grund für den Umzug in die Schweiz war die Befürchtung von Mitgliedern, dass mögliche US-Restriktionen den Zugriff auf die RISC-V-IP beschränken könnten – und langfristige Investitionen dadurch gefährdet seien.
RISC-V-Kerne selbst entwickeln – oder lizensieren
Im Unterschied zu ARM werden auch bei kommerzieller Nutzung der RISC-V-IP keine Lizenzgebühren fällig – sofern man nicht die Dienste eines Core-Entwicklers wie SiFive in Anspruch nimmt. Prinzipiell kann jede*r einen Kern oder einen Prozessor auf Basis der ISA entwerfen – oder fertige RISC-V-Cores von Github herunterladen und implementieren.
Komplett kostenfrei ist allerdings auch RISC-V nicht – schließlich muss sich die Foundation auch finanzieren. Während Community-Mitglieder nichts zahlen müssen, zahlen „Strategic Members“ und „Premier Members“ je nach Zahl ihrer Mitarbeiter zwischen 5000 und 250.000 US-$. Dafür haben sie auch Mitspracherechte über einen Platz im Board und im „Technical Steering Commitee“ (TSC).
Dass ARM die aufstrebende Open-Source-Konkurrenz durchaus ernst nimmt, zeigt das recht neue „ARM Flexible Access for Research“-Programm: Forscher erhalten damit zunächst kostenfrei Zugriff auf CPU- und Grafikkerne der Briten. Erst wenn ein Chip bis zum Tape-Out, also der Produktionsvorstufe, entwickelt wurde, werden Gebühren fällig.
Schlankes Design: Nur das einsetzen, was eine Applikation braucht
Für RISC-V spricht auch die schlanke Implementierung: Im Grundausbau RV32I gibt es gerade einmal 47 Instruktionen. Gerade Anwender, deren Lösungen nur einfachere Berechnungen durchführen sollen, können sich auf dieser Basis einen schlanken Prozessor maßschneidern. Bei ARM enthalten hingegen selbst die kleinsten Kerne möglicherweise Funktionen, die die Anwender nicht benötigen, aber mitbezahlen müssen.
Und auch mitbetreiben: Schließlich benötigt jeder Schaltungsteil Strom. Nicht umsonst gibt die RISC-V-Foundation an, dass die Energieeffizienz ihrer Kerne bis zu 40% besser sei als die vergleichbarer ARM-Cores. Ein weiterer Vorteil: Jede unnötige, im Design weggelassene Schaltungskomponente belegt keinen Platz auf dem Chip. So erreicht RISC-V nach eigenen Angaben gute PPA-Werte: Die Abkürzung steht für Power (Leistungsaufnahme), Performance (Geschwindigkeit) und Area (Fläche) – drei Eckpunkte, die für ein erfolgreiches Chipdesign essenziell sind.
RISC-V für alle: Vom einfachen In-Order-Kern bis zum komplexen SoC
Dabei lassen sich mit RISC-V weit mehr als nur schwachbrüstige Kerne für einfache Controller realisieren: Über einfache In-Order- und flotte Our-of-Order-Varianten hinaus sollen auch System-on-Chips mit mehreren Kernen möglich sein, die das Leistungspotenzial eines modernen ARM Cortex-A72 erreichen. Ein Beispiel ist der Netzwerkprozessor EasyCore des chinesischen Herstellers H3C Semiconductor Technology: Das Dual-Core-Design basiert auf der RISC-V-Core-IP U7 von SiFive, gefertigt in 16-nm-FinFET-Compact-Technology (FFC) bei TSMC.
SiFive ist einer der bereits bekannteren Anbieter von RISC-V-Kernen. Das US-Unternehmen aus Kalifornien wurde dieses Jahr in die „Silicon 100“ der EE Times aufgenommen: In dieser Liste sammelt das Tech-Magazin interessante Elektronik- und Halbleiter-Start-Ups. SiFive wirbt damit, dass Kunden ihre eigene RISC-V-CPU innerhalb einer Stunde entwerfen können, ein dediziertes SoC in wenigen Wochen anstatt Monaten. Das entstehende Design können Kunden lizensieren und in eigenen Produkten einsetzen.
Lässt sich ARM überhaupt verkaufen?
Die Situation rund um einen möglichen Verkauf von ARM bleibt auf jeden Fall spannend. Aufgrund der marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens dürfte er auf jeden Fall weltweit Kartellwächter auf den Plan rufen: Hier ist mit einigem Widerstand zu rechnen. Der potenzielle Käufer sähe sich zudem direkt zwischen die Fronten katapultiert im brodelnden Konflikt zwischen der US-Administration und China bezüglich Huawei und anderen chinesischen Lizenznehmern.
Und: Laut Nikkei Asia Report will Softbank nach einem Verkauf einen Teil des britischen Chip-Entwicklers behalten. Schließlich sei ARM bislang die wichtigste strategische Investition des Firmenkonglomerats in den aufstrebenden KI-Markt. Parallel zum (Teil-)Verkauf prüfe Softbank zudem weiterhin die Option, seine Tochter an die Börse zu bringen.
(ID:46753198)
August 03, 2020 at 11:03PM
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